Präzisionsmedizin bei chronischer Entzündung wird jetzt klinisch verfügbar
Beim internationalen klinischen Symposium des Exzellenzclusters PMI am 1. und 2. Juli wurden mit 46 internationalen Experten diagnostische und therapeutische Fortschritte diskutiert
Die gute Nachricht ist: Für chronisch entzündliche Erkrankungen von Haut, Darm, Gelenken und Lunge gibt es heute eine Vielzahl sehr wirksamer Therapien. Das Problem ist, für den einzelnen Patienten die beste individuelle Therapie aus der Fülle an Optionen auszuwählen. Ein Patentrezept hierfür konnten auch die 46 eingeladenen Referentinnen und Referenten beim 8. Internationalen klinischen Symposiums des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) nicht geben. Aber sie gewährten Einblick in ihre Entscheidungsprozesse und teilten den aktuellen Stand der Forschung mit den etwa 500 Teilnehmern, die am 1. und 2. Juli ins Audimax der Kieler Universität gekommen waren oder die Fachtagung live im Internet verfolgten. Sie erlebten einen Dialog zwischen vier medizinischen Fächern (Darm, Haut, Lunge und Rheuma), die alle vier zu einer bestmöglichen Therapie ihrer Patientinnen und Patienten beitragen.
Gezielte Immuntherapien – hohe Wirksamkeit, weniger Nebenwirkungen
Die Fortschritte in der Entzündungsmedizin sind gewaltig. Früher waren Ärztinnen und Ärzte froh, wenn sie bei ihren Patientinnen und Patienten mit Rheuma, Schuppenflechte, Morbus Crohn oder Asthma zum Beispiel Gelenkbeschwerden, Hautauschlag, Durchfall oder Atemnot lindern konnten. Heute kann und will man mehr. Ziel ist eine komplette Krankheitskontrolle, damit Komplikationen und Folgeerkrankungen wie Diabetes, Herzinfarkt oder Krebs gar nicht erst entstehen. Bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zum Beispiel ist die vollständige Kontrolle des Krankheitsprozesses und nicht nur die Besserung das neue Ziel. „Wir machen im Moment durch eine bessere Anwendung von Biologika aber auch durch die Vielzahl neuer “gezielter” Therapien, die gerade zugelassen werden, so viele Fortschritte wie bei keiner anderen Erkrankungsgruppe“, betont Professor Stefan Schreiber, der Sprecher des Exzellenzclusters PMI und Direktor des Instituts für klinische Molekularbiologie (IKMB) der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und Direktor der Klinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel. Mit zielgerichteten Therapien sei es möglich, das Immunsystem nur in dem Bereich auszubremsen, wo eine Fehlfunktion vorliege. „Wir müssen Immunreaktionen nicht mehr komplett unterbinden, um die Entzündungen zu reduzieren. Dadurch haben wir deutlich mehr Wirkung bei weniger Nebenwirkung“, ergänzt Professorin Bimba F. Hoyer, Rheumatologin an der Medizinischen Fakultät der CAU und Leiterin des Exzellenzzentrums für Entzündungsmedizin am UKSH, Campus Kiel.
Neue Medikamente – mehr Anspruch an die Wirkung
Seit dem Frühjahr des Jahres stehen erneut neue Tablettentherapien zur Verfügung, die das Immunsystem sehr gezielt beeinflussen. Bereits im Herbst kommen noch weitere Substanzen dazu. Für die langfristige Gesundheit von Patienten ist deren früher Einsatz im Krankheitsverlauf entscheidend, darüber waren sich die Expertinnen und Experten einig. Klar ist aber auch, die Therapie ist kompliziert und für den einzelnen Facharzt oder die einzelne Fachärztin ist das hierfür erforderliche Wissen kaum zu überblicken. Die moderne Entzündungsmedizin muss daher ein Gemeinschaftswerk sein. In Therapiekonferenzen mit vielen Professionen sollten solche Therapien ausgewählt und begleitet werden. Die Bildung eines Entzündungszentrums (mit allen Disziplinen unter einem Dach) und die gemeinsame Therapiekonferenz, die bereits vor Jahren am UKSH gegründet worden, sind Grundpfeiler einer modernen Entzündungsmedizin. Gerade die neuen Medikamente, die derzeit zugelassen werden, erfordern eine besondere Expertise für einen optimalen Einsatz.
Die Zukunft: Biomarker zur Therapiesteuerung
Entscheidend für den Erfolg dieser gezielteren Immuntherapien ist, dass bekannt ist, was genau im einzelnen Patienten die Entzündung antreibt und welcher Immunmechanismus gestört ist. In diesem Bereich gibt es noch viel Forschungsbedarf. Das wurde auch während des Symposiums klar. Schreiber: „Zukünftige wissenschaftliche Studien müssen viel mehr als jetzt das Individuum in den Mittelpunkt stellen. Ziel muss sein, für jeden Patienten seine oder ihre beste Therapie zu finden.“ Bisher erfolgt die Wahl der Therapie vor allem anhand der vorherrschenden klinischen Symptome, Begleiterkrankungen, dem Nebenwirkungsprofil der verschiedenen Medikamente oder Gegenanzeigen, der Anwendungsform (Tablette, subkutane Injektion oder Infusion) und auch der Therapiekosten. Es fehlen objektive und eindeutige Kriterien, die im Einzelfall für oder gegen eine bestimmte Therapieform sprechen. „Wir sind in einer schwierigen Situation und brauchen dringend Biomarker zur Therapiesteuerung“, betonte Professor Denis Poddubnyy, Leiter der Rheumatologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, der zusammen mit Kollegen aus der Dermatologie und der Gastroenterologie darüber gesprochen hat, was in Sachen Biomarker zu erwarten ist. Auch in aktuellen Forschungen des Exzelllenzclusters wird nach solchen Markern gesucht, etwa in Gewebeproben der Darmschleimhaut, in Blutproben oder in der bakteriellen Besiedlung - dem Mikrobiom - von Haut, Darm oder Lunge, um Subtypen der Krankheiten zu definieren.
Erfolg durch fachübergreifende Zusammenarbeit
Ein anderer wichtiger Aspekt in der Entzündungsmedizin setzt sich zunehmend durch: der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fachbereichen. Die Entzündung stoppt nicht an Organgrenzen. Ein gutes Beispiel ist die Schuppenflechte (Psoriasis), die häufig auch zur Entzündung von Sehnen und Gelenken (Psoriasis-Arthritis) führt. Egal wo sich die Entzündung anfangs bemerkbar macht, sie bleibt selten auf diesen Bereich beschränkt. Und am Ende gibt es häufig gemeinsame Stoffwechselstörungen, die dann das Leben begrenzen. Daher war auch das Cluster-Symposium als interdisziplinäre Tagung angelegt. Das Konzept kam sehr gut an. „Wir sollten mehr solcher interdisziplinären Panels haben und voneinander lernen“, sagte etwa Professor Costantino Pitzalis von der London School of Medicine. „Es war wunderbar.“
Kontakt:
Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan Schreiber
Klinik für Innere Medizin I, UKSH
Institut für Klinische Molekularbiologie, CAU Kiel, UKSH
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